Auf sich allein gestellt

Die Wirtschafts- und Finanzkrise Griechenlands trifft jüdische Gemeinden des Landes hart

Zwischen Kreta und Thrazien gibt es seit Wochen nur ein Thema: Wie kommt das Land wieder aus der Krise? Wer ist für die Misere verantwortlich und wo muss gespart werden? Die Preise steigen, staatliche Leistungen werden gekürzt und auf dem Arbeitsmarkt sieht es düster aus. Frau Perahia Zemour, Leiterin des Jüdischen Museums in Thessaloniki, bringt die Situation für ihr Haus auf den Punkt. «Die Zukunft unserer Einrichtung ist zum jetzigen Zeitpunkt ungewiss.» Da die finanzschwache jüdische Gemeinde das Museum subventioniert, sind Einsparungen sehr wahrscheinlich. Frau Perahia Zemour ist eine der gerade einmal 5.000 Griechinnen und Griechen jüdischen Glaubens. Die meisten leben in Thessaloniki und Athen. Zudem gibt es in sechs weiteren Städten kleine jüdische Gemeinden.

Die jüdischen Einwohner Griechenlands sind eine äußerst unauffällige Gemeinschaft. Selbst in Thessaloniki, der Stadt mit einer herausragenden jüdischen Tradition, kennen nur wenige Menschen den Weg zum versteckt gelegenen Gemeindezentrum. Folglich fehlen auch jüdische Intellektuelle, die im Rampenlicht des öffentlichen Interesses stehen und zur aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise Stellung beziehen. Die Gemeinden versuchen vielmehr im Stillen, die Krise zu meistern. Eine Unterstützung des Staates gibt es nicht. Die Finanzierung des Gemeindelebens erfolgt hauptsächlich durch Mitgliedsbeiträge, Spenden und die ökonomische Verwertung jüdischen Immobilienbesitzes.

Der sei jedoch seit dem Holocaust massiv geschrumpft, betont David Saltiel. Der 63-jährige gebürtige Athener ist Präsident des Zentralrats der Juden Griechenlands. Für ihn ist die hohe Jugendarbeitslosigkeit ein entscheidendes Symptom der Krise. Als vorsichtiger Analyst stellt er aber auch fest, dass die fehlenden beruflichen Perspektiven für die heranwachsende Generation in vielen europäischen Staaten ein Problem seien und nicht nur Griechenland betreffen würden.

Was ihn als griechischen Juden wiederum besonders an der aktuellen Situation beunruhige, sei das Anwachsen einer antisemitischen Stimmung im Land. Saltiel: «In wirtschaftlich schwierigen Zeiten kommt es stets zur Suche nach den Schuldigen. Hier fällt der Blick schnell auf die Minderheiten oder auf diejenigen, die eine vermeintliche internationale Finanzoligarchie repräsentieren würden.» Gemeint sind in beiden Fällen die Juden. Und wie zur Bestätigung haben sich Anschläge auf jüdische Einrichtungen in den letzten Monaten gehäuft. Ein wiederholter Brandanschlag auf die Synagoge der kretischen Stadt Chania im Januar fand wegen der angerichteten Schäden sogar überregionale Aufmerksamkeit.

Rechtsextreme Verschwörungstheoretiker und Gewalttäter bilden zwar auch in Griechenland nur eine kleine Gruppe. Doch ein großer öffentlicher Aufschrei der Empörung blieb nach den verheerenden Attacken ebenfalls aus. «Wir griechischen Juden sind ein Teil des griechischen Volkes und es muss unterstrichen werden, dass wir loyal zu den Zielen des Staates stehen und auch immer standen», sagt David Saltiel. Er hofft bei der Vermittlung dieser Sichtweise sehr auf die Unterstützung des Staates und anderer gesellschaftlich einflussreicher Akteure.

Die griechische Mehrheitsgesellschaft nimmt von den Sorgen des Zentralratspräsidenten allerdings kaum Notiz. Vielmehr diskutiert sie, wenn auch in abnehmenden Maße, das Verhältnis zu Deutschland. Deutsche Medienvertreter, Politiker und Ökonomen hatten die verfehlte griechische Wirtschaftspolitik, den vorherrschenden Klientelismus und die Korruption scharf kritisiert. Die Kommentare aus dem fernen Mitteleuropa erschienen bestenfalls arrogant und oberlehrerhaft. Reflexartig wurde, wenig originell, an die deutsche Besatzungszeit während des Zweiten Weltkrieges und ihre ökonomischen Folgen für Griechenland erinnert.

Auch unter jüdischen Griechen war die bilaterale Gereiztheit lange Zeit ein wichtiges Gesprächsthema. Gerade der Verweis auf die ökonomischen Schäden während der Besatzungszeit erinnerte viele von ihnen an das von jüdischen Familien geprägte Wirtschaftsleben zahlreicher Kommunen vor dem Einmarsch deutscher Truppen. Allerdings relativiert sich dieser Aspekt vor dem Hintergrund der Ermordung von 86 Prozent der griechischen Juden während des Krieges. Auch David Saltiel möchte nicht in die Diskussion einsteigen. Es sei vielmehr normal, dass Staaten in ihren bilateralen Beziehungen unterschiedliche Phasen durchlaufen würden und dies gerade in wirtschaftlichen Extremsituationen vorkomme. Für ihn sei das in die EU integrierte Deutschland trotz aller Misstöne der wichtigste Partner Griechenlands. Vielleicht gewinnt diese Sichtweise bald wieder Oberhand. Immerhin bedeutet das altgriechische Wort «Krise» im ursprünglichen Sinne ganz wertfrei «eine Meinung haben» bzw. «etwas beurteilen».

Juden in Griechenland 

Die sephardischen Juden sind die größte Gruppe der Juden Griechenlands. Sie wanderten ab dem 15. Jahrhundert von der Iberischen Halbinsel in das Gebiet des heutigen Hellas‘ ein. Daneben gibt es noch eine kleine Gruppe so genannter Romaniotes. Sie sind Nachfahren der alteingesessenen jüdischen Gemeinschaft. Heute leben ca. 5.000 Juden in Griechenland. Viele Überlebende des Holocaust emigrierten nach dem Krieg in Richtung USA und Israel. In Israel bestehen mehrere Gruppen, die noch heute griechisch-jüdische Traditionen pflegen. Die bekannteste Gemeinschaft ist die Vereinigung der griechischen Holocaustüberlebenden.

Berlin, 30. April 2010 / Erschienen in der Jüdischen Zeitung am 1. Mai 2010 www.j-zeit.de/archiv/artikel.2312.html