Was haben Los Angeles, Windhuk und Jakarta gemein?

Auf den ersten Blick nicht viel, außer dass sie alle Metropolen mit mehr oder weniger klangvollen Namen sind. Ferner unterhalten die drei Städte partnerschaftliche Beziehungen zu Berlin. Ebenso wie 14 weitere Gemeinden. Der am letzten Aprilwochenende stattfindende Welttag der Partnerstädte bietet Anlass für einen kleinen außereuropäischen Überblick

 

Unendlich scheint die Stadt. Mehrere Stadtautobahnen durchziehen sie. Autos besitzen unzweifelhaft eine zentrale Bedeutung. Daher ist es kaum vorstellbar, dass Los Angeles in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts eines der effizientesten Schienennahverkehrssysteme der Welt besessen haben soll.

In der Ferne zeichnet sich die Hochhaussilhouette im Smog ab, sie ist umgeben von einem Meer an Einfamilienhäusern und Appartementkomplexen. Bereits seit 1967 ist die zweitgrößte Gemeinde der USA Partnerstadt Berlins. Ihr Name gibt Auskunft über eine spanische Vergangenheit: Als die Ortschaft 1781 auf Indianergebiet gegründete wurde, hieß sie zunächst etwas umständlich El Pueblo de Nuestra Señora la Reina de los Ángeles del Río de Porciúncula. Das Dorf entwickelte sich in den kommenden Jahrzehnten zu einem überschaubaren lokalen Zentrum weißer Siedler. In dieser Zeit entwarf der ambitionierte Architekt und Stadtplaner Carl Friedrich Schinkel im weit entfernten Berlin klassizistische Gebäude der preußischen Hauptstadt. Noch um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert hatte Los Angeles gerade einmal die Einwohnerzahl des heutigen Friedrichshains. Dann begann jedoch ein rasanter Bevölkerungszuwachs, der nach wie vor anhält. Gegenwärtig zählt die Stadt circa vier Millionen Einwohner. Das Bevölkerungswachstum geht mit einem Wandel der Bevölkerungszusammensetzung einher. Daher wird in nicht allzu ferner Zukunft Spanisch die am meisten gesprochene Sprache der Stadt sein. Ein Zufall, dass mit Antonio Villaraigosa der erste hispanische Bürgermeister seit 1872 die Geschicke der Stadt regelt?

 

Der Zuzug spanischsprachiger Einwohner resultiert insbesondere aus der relativen Nähe zur mexikanischen Grenze. Die Hauptstadt dieses südlichen Nachbarlandes ist ebenfalls eine Berliner Partnerstadt. Allerdings waren die weißen Neuankömmlinge hier keine Gemeindegründer sondern Zerstörer. Tenochtitlán nannten die Azteken ihre über 100.000 Einwohner zählende Metropole, als spanische Eroberer vor den Stadtgrenzen auftauchten. Mit Unterstützung benachbarter Völker, die den Azteken feindlich gesonnenen waren, gelang den Spaniern 1521 die Eroberung. Sie nahmen eine einstmals blühende Gemeinde ein, deren Gründung im 14. Jahrhundert vermutet wird. Unter dem Namen Ciudad de México wurde sie zur Hauptstadt des Vizekönigreichs Neuspanien erklärt. Von hieraus verwalteten die Europäer ein Kolonialgebiet, welches große Teile Mittel- und Nordamerikas sowie mehrere karibische Inseln umfasste. Zu dieser Zeit nahmen sich die Besitzungen der im Berliner Stadtschloss residierenden Monarchen bescheiden aus: Zum Kerngebiet des Kurfürstentums Brandenburg zählte ein dünn besiedeltes Territorium von der Altmark im Westen bis zur Neumark im Osten.

Die politische, ökonomische und kulturelle Sogwirkung von Mexiko-Stadt kann heute vor allem an der Bevölkerungszahl und am anhaltenden Bevölkerungszuzug abgelesen werden. Im Großraum leben zirka 20 Millionen Menschen, womit das Ballungsgebiet zu den bevölkerungsreichsten der Welt zählt.

 

Ein weiteres Ballungsgebiet mit annähernd 13 Millionen Einwohnern befindet sich am Río de la Plata. Hier besitzt die Spreemetropole eine dritte Partnerstadt auf dem amerikanischen Doppelkontinent. Bei ihrer Gründung im Jahre 1536 trug die kleine Hafengemeinde den Namen Puerto de Nuestra Señora Santa María del Buen Ayre. Die ersten weißen Siedler mussten sich zunächst einer heftigen Gegenwehr der lokalen Ureinwohner stellen, die Ortschaft aufgegeben und Jahre später neu gründen. Ganz andere Sorgen plagten zu dieser Zeit die jagdbegeisterten Hohenzollern in ihrer Berliner Residenz. Sie ließen einen Reitweg durch morastiges Terrain angelegt, über den der wildreiche Grunewald erreicht werden konnte. Dies war die Geburtsstunde des späteren Kurfürstendamm. Das hier zwei Partnerstädte heranwuchsen, ahnte niemand beiderseits des Atlantiks: Heute zählt Buenos Aires 2,7 Millionen Einwohner und Berlin 3,4 Millionen Menschen. Wobei die Hauptstadt Argentiniens als unbestrittene Metropole des Tangos gilt. Sie ist ferner Heimat auffallend vieler Migranten mit italienischen Wurzeln. Eine italienisch-spanische Mischsprache entstand gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Vielleicht vergleichbar jener türkisch-deutschen Sprachenmixtur die besonders häufig in Neukölln, Kreuzberg oder im Wedding auffällt. Doch auch die deutsche Sprache hat am Río de la Plata ihre Spuren hinterlassen und beispielsweise das Wort Kuchen etabliert.

 

In einem ganz anderen Maße ist das Deutsche in Berlins kleinster Partnergemeinde präsent. In Namibias Hauptstadt Windhuk erscheint mit der deutschsprachigen Allgemeinen Zeitung die älteste Tageszeitung des Landes. Es gibt Straßennamen und Viertel, die eine deutsche Stadt vermuten lassen. Windhuks heutiges Stadtgebiet besiedelten zunächst afrikanische Völker. Zu ihnen zählten die Herero, welche die Gegend aufgrund heißer Quellen Ort des Dampfes nannten. Ihr Kampf galt im 19. Jahrhundert den Nama, welche ihnen die Vorherrschaft in der Region streitig machten. Das Schicksal der Region wurde allerdings mehrere Tausend Kilometer nördlich, in der Berliner Wilhelmstraße, bestimmt. Dort tagte vom November 1884 bis zum Februar 1885 die so genannte Kongokonferenz. Deren Abschlussdokument die schnelle Aufteilung der noch nicht kolonialisierten Gebiete Afrikas provozierte. Das Deutsche Reich konnte in diesem Kontext seine territorialen Ambitionen in Südwestafrika international absichern. Im Jahr 1890 begann die Gestaltung einer Garnisons- und Verwaltungsstadt. Mehrere Hundert Siedler aus Deutschland zog es in der Folge nach Windhuk. Heute hinterlässt die zirka 250.000 Einwohner zählende Metropole einen leicht kleinstädtischen Eindruck. Die schwarze Bevölkerung dominiert das Leben der Stadt. Deutsche Traditionen bleiben jedoch allgegenwärtig. Der Karneval wird exemplarisch genauso begeistert gefeiert wie am Rhein – allerdings nur von einer kleinen Minderheit. Zumindest hier ähnelt Windhuk seiner Partnerstadt an Spree und Havel.

 

Auf Festivitäten ganz anderer Größenordnung bereitet sich Peking gegenwärtig vor. Berlins Partnergemeinde befindet sich im Olympiafieber. Es wird Allerorten abgerissen und neu gebaut. Leider trifft die Abrissarbeit auch die gemütlich wirkenden Altstadtgassen, die so genannten Hutongs. Sie versprühen einen dörflichen Charme, der nicht so recht zu einer Metropole von zehn Millionen Einwohnern passen will. Doch das Thema Abrisswut und Neugestaltung ist auch in Berlin nicht fremd. Es zieht sich letztlich durch die Geschichte beider Städte. Wobei die Vergangenheit Pekings bis in das 12. Jahrhundert vor Christus reicht. Berlin dagegen erstmals im 13. Jahrhundert nach Christus urkundlich Erwähnung findet. Beide Städte entwickelten sich davon unabhängig zu Kaiserresidenzen. Hier das Stadtschloss auf der Spreeinsel, dort die Verbotene Stadt als symbolisches Zentrum der Welt. Das Ende der jeweiligen Kaiserdynastie erfolgte schließlich zeitnah. Der chinesische Kaiser musste im Februar 1912, als Resultat einer Revolution, seinen Machtanspruch aufgeben. Seinem deutschen Pendant wurde die sich abzeichnende Niederlage gegen Ende des Ersten Weltkrieges 1918 zum Verhängnis. Beide Städte blieben jedoch politische Machtzentren. Bei Peking wird dies bereits am Namen deutlich, der sich mit Nördliche Hauptstadt übersetzen lässt. Mit der Östlichen Hauptstadt unterhält Berlin eine weitere städtepartnerschaftliche Beziehung.

 

Diese östliche Hauptstadt ist besser bekannt unter dem Namen Tokio. Sie ist Zentrum eines Ballungsraumes mit über 30 Millionen Einwohnern. Teilweise gehen die einzelnen Großstädte nahtlos ineinander über. Beengte Wohnverhältnisse sind die Regel, große Grün- und Freiflächen, wie sie Berlin auszeichnen, eher selten.

Während des Zweiten Weltkrieges wurde auch die japanische Hauptstadt Ziel US-amerikanischer Luftangriffe. Die historische Bebauung fiel einem Flammeninferno zum Opfer. Die Zahl der Toten überschritt die 100.000er Marke. Nach dem Ende des Krieges besetzten US-amerikanische Militärs die Stadt. In Tokio mussten sie ihren Machtanspruch nicht mit anderen Siegermächten teilen. Dies erlaubte es ihnen, ihre Besatzung bereits in den 50er Jahren zu beenden. Während Berlin zum Brennpunkt des Kalten Krieges und des Systemkonfliktes wurde, konnte sich Tokio auf die Modernisierung seiner Industrie- und Dienstleistungszentren konzentrieren. Die Stadt ist folglich heute ein führender Finanzplatz. Die Grundstückspreise gehören zu den Höchsten der Welt.

In der deutschen Hauptstadt hat der aus dem Großraum Tokio stammende Sony Konzern ein architektonisches Ausrufezeichen gesetzt: Die markante Zeltdachkonstruktion am Potsdamer Platz. Sie symbolisiert den Fuji, den für viele Japaner heiligen Berg. Es ist ein nach Europa transferiertes Beispiel dafür, dass sich nach japanischer Auffassung Traditionsbewusstsein und Moderne nicht ausschließen müssen. Sicherlich ein beachtenswerter Aspekt bei der Diskussion zur Neugestaltung Berliner Innenstadtareale.

 

Berlins Partnerstadt Jakarta liegt ebenfalls auf einer dicht besiedelten Insel. Sie ist die Hauptstadt des größten muslimischen Staates der Welt. Doch in Indonesiens Metropole auf der Insel Java finden sich nicht nur Muslime sondern auch Anhänger der unterschiedlichsten Religionen und Kulturen. Insofern verwundert es nicht, dass im 12. Jahrhundert zunächst Hindus die Geschicke der Gemeinde Sunda Kelapa lenkten. Sie wurden in den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts durch muslimische Eroberer verdrängt, die auf den Trümmern der zerstörten Ortschaft eine neue Metropole mit dem Namen Jayakarta errichteten. Was mit Großer Sieg übersetzt werden kann. Doch die Freude über diese Eroberung währte keine hundert Jahre, da erschienen an der Küste Niederländer. Sie erkannten den strategischen Wert der Hafenstadt, nahmen sie kurzerhand in ihren Besitz und nannten sie fortan Batavia. Einen Name, den die Stadt bis 1950 tragen sollte.

Während die Gemeinde gegen Ende des Zweiten Weltkrieges gerade einmal etwas mehr als eine halbe Millionen Einwohner zählte, wuchs ihre Bevölkerungszahl in den folgenden Jahrzehnten dramatisch an. Gegenwärtig drängen sich neun Millionen Menschen in der Stadt. Eine Bevölkerungsexplosion, die Berlin bereits in der Hochphase der Industriellen Revolution erlebte. Zur damaligen Zeit vergrößerte sich die Stadt an der Spree um jährlich zirka 100.000 Menschen. Hierunter befanden sich viele Zugezogene, die das Schlagwort vom echten Berliner aus Schlesien prägten.

 

Die beengten Wohnverhältnisse, welche Berliner Arbeiter jener Jahre vorfanden, waren sozialistisch motivierten Städteplanern in den darauf folgenden Dekaden ein Dorn im Auge. Wer sich die usbekische Hauptstadt Taschkent vorstellt, denkt zunächst an Seidenstraße und geheimnisvolles Asien, weniger an mächtige Wohnblöcke und breite Boulevards. Tatsächlich haben die Jahre, während derer Taschkent eine der größten urbanen Zentren der Sowjetunion war, das Stadtbild geprägt. Industrie wurde angesiedelt und Menschen aus allen Teilen des Landes fanden in der Metropole mit ihren zwei Millionen Einwohnern eine neue Heimat. Ferner sorgte ein schweres Erdbeben im Jahre 1966 für weiteren Verlust historischer Bausubstanz. In Berlin waren es wiederum der Zweite Weltkrieg und die Abrisswut in den Jahrzehnten danach, welche die Suche nach dem „Alten“ ebenso schwierig gestalten. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass in beiden Partnerstädten ein Fernsehturm aus der Sowjetära zu den zentralen Sehenswürdigkeiten zählt. Der höchste Fernsehturm Zentralasiens ragt 375 Meter in die Höhe. Sein Berliner Gegenstück bringt es immerhin auf 368 Meter.

 

Neben den beschriebenen Städtepartnerschaften unterhält Berlin in Europa partnerschaftliche Beziehungen zu Paris, London, Moskau, Warschau, Prag, Budapest sowie Istanbul, Madrid und Brüssel. Bei diesen Kontakten soll ein Gedankenaustausch der Metropolen gefördert werden. Der ursprüngliche Versöhnungsaspekt der Nachkriegszeit spielt kaum noch eine Rolle. Zumal Toleranz, Offenheit und gegenseitiges Verständnis jeden Tag auf ein Neues in den Straßen der jeweiligen Stadt geübt und praktiziert werden kann.

Zur Info:

Weltweit werden zirka 15.000 Städtepartnerschaften gepflegt. Die sich dahinter verbergende Idee war in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden. Deutsche und französische Gemeinden bemühten sich um Aussöhnung. Das zumeist negative Bild von einander sollte durch gegenseitiges kennen lernen als irrational begriffen werden. Freundschaften entstanden dort, wo einst tiefe Ablehnung vorherrschte. Da auch die in Deutschland stationierten Militärs auswärtiger Staaten den Versöhnungseffekt erkannten, bemühten sie sich ebenfalls um Städtepartnerschaften mit Heimatgemeinden in beispielsweise England, Belgien oder Kanada.

 

Berlin, 24. April 2008 / Nicht veröffentlicht