Als Kollektiv kommen wir ohne Chefs aus

Die Regenbogenfabrik in Kreuzberg feiert 30jähriges Bestehen. Was mit der Besetzung einer leer stehenden Chemiefabrik und eines benachbarten Wohnhauses begann, ist heute ein lebendiges Kultur- und Nachbarschaftszentrum

In einer kleinen, gemütlichen Remise sitzt Andy, hinter ihm an der Wand hängt die Weltkarte. „In der Regenbogenfabrik bin ich verantwortlich für Verwaltung und nennen wir es mal Sonstiges“, sagt er lachend. Der sympathische und jugendlich wirkende Mann mit grauem Zopf war in seinem früheren Leben Drucker und Industrieelektroniker. „Doch das ist mittlerweile verjährt“, bemerkt er schmunzelnd. Seit fünf Jahren engagiert er sich nun auf dem Gelände an der Lausitzer Straße. Einen Bezug zur Regenbogenfabrik hatte er aber bereits seit den 80er Jahren. „Damals besuchte hier meine Tochter die Kita und außerdem komme ich selbst aus der Hausbesetzerszene.“ Von den Bewohnerinnen und Bewohnern der ersten Jahre seien vielleicht noch zirka zehn Mitstreiterinnen und Mitstreiter vor Ort. Insgesamt würden 80 Personen das Areal mit Leben füllen. Es ähnelt einem kleinen Dorf, in dem es neben der besagten Kita ein Kino, ein Hostel, ein Café und eine so genannte Selbsthilfewerkstatt für Fahrräder gibt.

Natürlich seien mit der Aufrechterhaltung des Betriebes auch Kosten verbunden und soziale Projekte mittlerweile nur noch schwer finanzierbar, gibt Andy zu bedenken. „Daher bemühen wir uns verstärkt, ökonomisch zu arbeiten. Wir müssen unser Geld selbst erwirtschaften.“ Immerhin kann dabei ein wenig helfen, dass das Kino unter Berliner Cineasten einen guten Ruf genießt und sich Besuchergruppen aus dem In- und europäischen Ausland fast wöchentlich zu Führungen anmelden, sich gewissermaßen die Klinke in die Hand geben. „Früher kamen vielleicht alle paar Monate interessierte Menschen vorbei.“ Sie alle wollen sich das Lebensgefühl einer selbstverwalteten Gemeinschaft erklären lassen: „Bei uns wird alles im Kollektiv entschieden. Als Kollektiv kommen wir ohne Chefs aus und das ist uns sehr wichtig. Anders ausgedrückt sind wir alle Chefs“, unterstreicht Andy stolz.

Gegenwärtig bemühe man sich um einen Erwerb des Grundstücks. „Wir stehen mit dem Bezirk, dem das Areal gehört, in Verhandlungen und könnten uns einen Erbpachtvertrag vorstellen“, bemerkt er, möchte dann aber nicht ins Detail gehen. Würden die Verhandlungen zu einem erfolgreichen Abschluss kommen, wäre das der krönende Höhepunkt im Jubiläumsjahr. „Die 30 Jahre Regenbogenfabrik haben wir ja bereits ausgiebig gefeiert. Mit einer Lesung im Café zum Häuserkampf in Berlin, mit einem Sektempfang für politische Unterstützerinnen und Unterstützer, mit einer Filmvorführung zur solidarischen Ökonomie und natürlich mit unserem Hoffest, das sehr gut besucht wurde.“ Tatsächlich scheint die Regenbogenfabrik einer der immer weniger werdenden Orte im Bezirk zu sein, in dem alternatives Leben noch möglich ist. „Die Oranienstraße ist mittlerweile eine Rennbahn. Dort spielt sich viel ab. Dort hat sich viel verändert. Wir liegen da doch zu abseits und können unser Konzept gut behaupten“, erklärt Andy die Resistenz der Regenbogenfabrik gegen die zu beobachtenden Tendenzen der Gentrifizierung.

Beim Verlassen des Geländes fällt der Schornstein ins Auge, der das Grundstück prägt. Er stammt noch aus einer Zeit, als hier ein Dampfsägewerk betrieben wurde. Der Schornstein steht unter Denkmalschutz und wirkt damit wie ein Leuchtturm, der anzeigt, dass hier an der Lausitzer Straße noch immer alternative Freiräume zu finden sind, die den Bezirk bereichern.

Berlin, den 13. März 2011 / Erschienen im Stachel Frühling 2011 www2.frieke.de/uploads/stachel_2011_04.pdf