„Ich habe die Orthodoxie für mich entdeckt“

Orthodoxe Kirchen feiern das Osterfest in diesem Jahr zeitgleich mit den Westkirchen. Aufgrund unterschiedlicher Kalender ist dies eine Ausnahme, aber auch ein schöner Anlass vorab drei kleinen christlich-orthodoxen Gemeinden Berlins einen Besuch abzustatten

In der ehemaligen Friedhofskapelle an der Neuköllner Hermannstraße ist es klirrend kalt. Das Gebäude stammt noch aus der Kaiserzeit. Erzpriester Ljubomir Leontinov führt zu einem Heizungsschacht aus dem warme Luft strömt. Eine mit Schal und Winterjacke dick eingepackte Frau zündet Kerzen an. Sie tauchen den Raum allmählich in goldenes Licht. Herr Leontinov ist Gründer der seit 1994 bestehenden bulgarisch-orthodoxen Gemeinde in Berlin. „Die Kapelle haben wir vor acht Jahren von der Evangelischen Kirche gepachtet. Damals fehlte neben der Heizung auch das Dach.“ Nötige Sanierungen finanzieren der bulgarische Staat und spendenfreudige Gemeindemitglieder. Dennoch ist der jugendlich wirkende Geistliche frustriert. „Die Instandsetzung des maroden Hauses kostet schon jetzt 100.000 Euro mehr als ursprünglich berechnet. Vielleicht wäre ein Neubau die bessere Alternative gewesen.“ Er berichtet von ständigen Kurzschlüssen und deutet auf die prächtigen Wandmalereien, die bei genauem Hinsehen unter dem feuchten Mauerwerk leiden.

Von den über 5000 in Berlin lebenden Bulgaren besuchen maximal 50 regelmäßig die Gottesdienste. „Nur an hohen Feiertagen reicht der Platz in unserer Kirche des Heiligen Zaren Boris des Täufers nicht aus. Dann kommt sogar die Polizei, um ein drohendes Verkehrschaos vor dem Gotteshaus zu verhindern.“ Zudem bestehen gute Kontakte zur serbisch-orthodoxen Gemeinde, da beide ihren Gottesdienst auf Altkirchenslawisch feiern. „Wir Geistlichen vertreten uns im Notfall gegenseitig.“ Herr Leontinov greift nach einem Gesangsbuch und zeigt seltsam geschwungene Musiknoten. Deren Verwendung war im Mittelalter üblich. Heute können sie nur noch speziell ausgebildete Sänger lesen. Zu den größeren Kirchen der Stadt unterhalte man dagegen kaum Beziehungen. Verlegen bemerkt der Erzpriester, dass die Evangelische Kirche sehr gerne einen vertiefenden Dialog führen würde. „Wir haben hierfür jedoch keine personellen Kapazitäten. Gegenwärtig fließt unsere gesamte Energie in die Sanierung der Kirche.“ Ergänzend erzählt er von der früheren Heimatlosigkeit seiner Gemeinde. „Wir waren Gast anderer Kirchen und sind vier- bis fünfmal umgezogen. Jetzt haben wir endlich unser eigenes Gotteshaus.“ Dann berichtet er von dem großen Kellergeschoss. Nach der Instandsetzung könnten dort interkonfessionelle Veranstaltungen stattfinden. Immerhin sei der einmal im Monat auftretende ökumenische Kirchenchor ein Anfang, ebenso die Teilnahme an der langen Nacht der Kirchen.

Wir sind kein abgeschotteter Kreis

Geldnöte kennt auch die rumänisch-orthodoxe Kirchengemeinde. Seit der Wirtschaftskrise hält der rumänische Staat zugesagte Finanzmittel für einen Kirchenneubau zurück. Gegenwärtig ist das Gotteshaus der Gemeinde ein unscheinbarer Flachdachbau der 60er Jahre, der zunächst als Wohnhaus genutzt wurde. Er liegt an der viel befahrenen Heerstraße in Westend. „Wir haben die Baugenehmigung und einen deutschen Architekten, der uns eine repräsentative Kirche im mittelalterlichen moldawischen Stil mit einem 27 Meter hohen Turm bauen könnte“, schwärmt Florea Eremia, Vorsitzender der Gemeinde. Sein Stellvertreter, Sascha Goretzko, zeigt sich jedoch verhalten pessimistisch. „Neben der Wirtschaftskrise herrscht in Bukarest zurzeit politisches Durcheinander. Ob und wann zugesagte Gelder fließen, bleibt daher ungewiss.“ Herr Goretzko ist Deutscher und war früher protestantischer Christ. „Bei meinen zahlreichen Reisen nach Rumänien habe ich irgendwann die Orthodoxie für mich entdeckt.“ In Berlin genieße er die Atmosphäre der Gemeinde, der auffallend viele junge Menschen angehörten. „Sie sehen in der Kirche der Erzengel Michael und Gabriel auch einen kulturellen Treffpunkt fernab der Heimat.“ Immerhin seien viele der geschätzten 2500 Rumänen Berlins erst seit wenigen Jahren in der Stadt. Ein abgeschotteter Kreis wäre die Gemeinde aber nicht. „Wir sind sehr an Kontakten zu anderen Kirchen interessiert“, betont Herr Goretzko „Neben freundschaftlichen Beziehungen zu den orthodoxen Kirchen pflegen wir den Kontakt zur Evangelischen Kirche und organisieren gemeinsame Feste.“ Zudem würde der neue Pfarrer Clement den Gottesdienst teilweise auf Deutsch feiern, um nicht-rumänische Freunde und Ehepartner der Gemeindemitglieder einzubinden. Der aus Leipzig kommende Clement ist Nachfolger des im vergangenen Sommer tödlich verunglückten Pfarrers Constantin. Dieser war bei Abrissarbeiten am Gemeindehaus von herabstürzendem Mauerwerk erschlagen worden. Auch er träumte von einen neuen Gotteshaus.

Mit Freude zum Ökumenischen Kirchentag nach München

Die griechisch-orthodoxe Gemeinde in Steglitz plant keinen Kirchenwechsel. Ihr Gotteshaus ist ein einstöckiger Bau im 70er Jahre Stil, den die Evangelische Kirche zur Verfügung gestellt hat. Am Sonntag nach dem Fest der Wasserweihe ist das Gebäude mit über einhundert Gläubigen bis auf den letzten Platz gefüllt. Die Wasserweihe erinnert an die Taufe Jesu im Jordan und wurde im Januar erstmals auch an der Spree gefeiert. Weihrauch liegt in der Luft. Pfarrer Emmanuel Sfiatkos berichtet sichtlich zufrieden von der großen Medienpräsenz während der Wasserweihe. Begeistert lädt er alle Anwesenden zur Teilnahme im kommenden Jahr ein. Dann sollen an der Zeremonie weitere christliche Gemeinschaften teilnehmen.

Seine Gemeinde besteht seit den 60er Jahren. Sie ist das christlich-orthodoxe Zentrum der zirka 10.000 Griechen Berlins. „Unsere Kirche der Himmelfahrt Christi ist ein Bindeglied in die alte Heimat“, betont Herr Sfiatkos nach dem Gottesdienst in seinem Büro. Da er selbst aus Duisburg stammt und in München studiert hat, unterstreicht er aber auch, dass die Gemeinde in Deutschland angekommen sei. „Bei uns gibt es nicht mehr den klassischen Gastarbeiter.“ Als stellvertretender Vorsitzender des Ökumenischen Rates Berlin Brandenburg setze er sich persönlich sehr stark für den interkonfessionellen Dialog ein. Im Mai reise er deshalb mit Freude zum Ökumenischen Kirchentag nach München. Dabei dürfe, seiner Meinung nach, die soziale Arbeit in der Gemeinde nicht vernachlässigt werden. „Ich verstehe meine Hauptaufgabe als Dienst an der Gemeinde.“ Weshalb mittellose Mitglieder das Monatsticket der bvg bezahlt oder gespendete Weihnachtsgeschenke erhalten würden. „Das alles funktioniert aber nur mit Hilfe der vielen engagierten Ehrenamtlichen.“ Einer davon steht plötzlich im Büro. Er möchte darauf hinweisen, dass er nun Schnee schippen wird. Der Alltag nach der ersten Wasserweihe Berlins hat spätestens jetzt auch Herrn Sfiatkos wieder.

Kasten: Die Kalender der West- und Ostkirche

Papst Gregor XIII. ließ 1582 eine Kalenderreform durchführen. Der nach ihm benannte Gregorianische Kalender bedeutete das Überspringen von zehn Tagen: Dem 4. Oktober folgte unmittelbar der 15. Oktober. Aufgrund ihrer Konkurrenz zur katholischen Kirche verweigerten orthodoxe Kirchen die Übernahme dieses Kalenders und hielten am Julianischen Kalender fest, der von Julius Caesar eingeführt worden war. Auf einer Konferenz im syrischen Aleppo im Jahr 1997 diskutierten Teilnehmer die Festlegung eines gemeinsamen Osterdatums. Eine Einigung konnte jedoch bis heute nicht erzielt werden.

Kasten: Die orthodoxen Kirchengemeinden Berlins

Die christlich-orthodoxe Gemeinschaft besteht aus mehreren selbst verwalteten Kirchen. Diese sind landsmannschaftlich organisiert. Im multikulturellen Berlin bestehen für nahezu alle christlich-orthodoxen Gläubigen solchermaßen organisierte Kirchengemeinden. Die bulgarisch-, griechisch- und rumänisch-orthodoxen Gemeinden feierten gemeinsam die Wasserweihe. Daher galt ihnen der Besuch.

Berlin, den 15. Januar 2010 / Erschienen in „die kirche XX“