„Wir können nicht nur Toleranz einfordern, wir müssen sie auch leben“

Die Fußballmannschaft von Makkabi Berlin geht ihrem Tagesgeschäft in der Verbandsliga nach. Bei Heimspielen verirren sich nur wenige Enthusiasten im weiten Rund der Julius-Hirsch-Sportanlage. Dennoch ist Makkabi Fußballkennern ein Begriff. Ein Interview mit dem Vorsitzenden Tuvia Schlesinger über die wichtigste Nebensache der Welt

JZ: Herr Schlesinger, bevor wir über Fußball reden, eine Frage: Sie wurden in Haifa geboren und sind 1959 im Alter von sieben Jahren nach Berlin gekommen. Was verschlug Ihre Familie zu dieser Zeit ausgerechnet nach Berlin?

Schlesinger: Meine Mutter kam aus Berlin. Sie hatte meinen Vater, dessen Familie wiederum aus Wien stammte und vollkommen ausgelöscht wurde, in Israel kennen gelernt. Insofern war Berlin für unsere Familie auch Heimatstadt.

JZ: Und Sie gehörten 1970 bei der Vereinsgründung von Makkabi Berlin zu den ersten Spielern und Mitgliedern. Wer bildete die Gründergeneration?

Schlesinger: Zunächst einmal muss man sagen, dass der Verein wieder gegründet wurde. Er sieht sich in der Tradition eines jüdischen Klubs, den es in der Stadt bereits vor dem Krieg gab. Die Vereinsgründer waren zumeist ältere Menschen, die nach dem Krieg nach Berlin zurückkehrten. Sie wollten mit Hilfe des Sports eine Brücke der Verständigung zwischen Juden und Nichtjuden schlagen.

JZ: Wie wurde die Vereinsgründung damals in der Öffentlichkeit diskutiert?

Schlesinger: Eher neutral, wenn überhaupt. Wir spielten in den untersten Ligen und waren dort eine von vielen Mannschaften. Natürlich haben einige Politiker positiv reagiert: Berlin hatte wieder einen jüdischen Verein. Vor dem Krieg existierten zirka ein Dutzend jüdischer Sportvereine in der Stadt.

JZ: Makkabis Bekanntheit wuchs in den folgenden Jahren. Wie sieht die aktuelle Mitgliederzahl aus und welche Sportabteilung dominiert?

Schlesinger: Da Fußball mit Abstand die beliebteste Sportart in Deutschland ist, haben wir natürlich auch hier unsere größte Abteilung. Insgesamt zählt unser Verein zwischen 480 und 500 Mitglieder.

JZ: Makkabis Herrenmannschaft spielt in der Verbandsliga. Welche langfristigen sportlichen Ziele halten Sie für realistisch?

Schlesinger: Zu Beginn der Saison war das Ziel ein einstelliger Tabellenplatz. Den haben wir nun sicher. Natürlich möchte man in einem nächsten Schritt um den Aufstieg mitspielen. Allerdings fragen wir uns, ob ein Aufstieg in die Oberliga vor dem Hintergrund der negativen Ereignisse der letzten Wochen wirklich wünschenswert wäre.

JZ: Sie sprechen die Vorfälle mit antisemitischen Parolen während mehrerer Fußballspiele an. In vorangegangenen Interviews bemerkten sie ein Ansteigen antisemitischer Entgleisungen bei Auswärtsspielen. Wie macht sich das bemerkbar? Immerhin, Borussenfront und ähnliche Vereinigungen waren bereits ein Phänomen der 80er Jahre.

Schlesinger: Da gebe ich Ihnen Recht. Doch früher war alles eher unterschwellig. Man hat sein antisemitisches Gedankengut in der Regel nicht in die Öffentlichkeit getragen. Heute ist es durch politische und gesellschaftliche Entwicklungen jedoch wieder gang und gäbe. Eine Studie der Friedrich Ebert Stiftung hierzu besagt beispielsweise, dass zirka 25 Prozent der Deutschen antisemitische Ansichten vertreten. Wenn man diese Zahlen kennt und seine Erfahrungen in der jüngsten Vergangenheit gemacht hat, dann fragt man sich natürlich, ob es wünschenswert ist, die eigene Mannschaft zu Oberliga-Auswärtsfahrten in Regionen außerhalb von Berlin zu schicken.

JZ: Makkabi wird in der Öffentlichkeit als jüdischer Verein wahrgenommen. Doch wie viele Spieler in der Fußball-Herrenmannschaft gehören überhaupt noch zur jüdischen Glaubensgemeinschaft?

Schlesinger: In unserer Jugendabteilung sind sehr viele Kicker jüdischen Glaubens. Bei unserer zweiten Herrenmannschaft sind es so zwischen 60 und 70 Prozent. Nur bei unserer in der Verbandsliga spielenden Mannschaft sind es gerade einmal zwei Spieler. Dennoch müssen sich die Spieler Pöbeleien wie „Scheiß Jude“ gefallen lassen. Die einen wollen da nicht mehr mit machen, die anderen identifizieren sich dadurch eher noch mehr mit dem Verein.

Der Grund für die wenigen jüdischen Spieler im Verbandsligateam geht damit einher, dass hier leistungsbezogen gearbeitet wird. Man trifft sich in kurzen Abständen, um hart zu trainieren. Folglich ist das kein entspannter Hobbyfußball mehr und das schreckt natürlich viele aus dem Nachwuchs ab.

JZ: Makkabis Fußballmannschaft zählt in dieser Saison zu den Spitzenteams der Liga. Dennoch hält sich das Zuschauerinteresse in Grenzen. Beim Spitzenspiel gegen die Reinickendorfer Füchse sah man im heimischen Stadion beispielsweise mehr Auswärtsfans. Woran könnte das liegen?

Schlesinger: Wir sind einfach zu schnell gewachsen, hatten zu schnell Erfolg. Es fehlt an vielen Dingen. Sehen Sie sich die Infrastruktur an: Wir haben keinen Stadionsprecher. Keine Musik während der Pause. Alles Dinge, die einen Besuch ein wenig komfortabler gestalten. Ferner können wir noch mehr für uns werben.

JZ: Zum Fußball gehören Rivalitäten und Freundschaften zu anderen Teams. Wie sieht es da bei Makkabi aus?

Schlesinger: In der Verbandsliga sind alle Mannschaften Konkurrenten. Doch da wir gute Kontakte zum Berliner SC haben, hoffe ich, dass er die Klasse wird halten können. In der Oberliga haben wir wiederum ein gutes Verhältnis zu Türkiyemspor.

JZ: Türkiyemspor und Makkabi haben sich in der Vergangenheit auch bei Veranstaltungen engagiert, die sich gegen Homophobie im Sport wenden. Stichwort respect gaymes. Wie kam es dazu?

Schlesinger: Wir können nicht immer nur Toleranz von anderen einfordern, wir müssen sie auch leben. Daher haben wir uns selbstverständlich gerne bei der Initiative gegen Homophobie im Sport beteiligt.

JZ: Makkabi folgt zionistischen Idealen…

Schlesinger: …Das hört sich so nach Imperialismus an. Tatsächlich hat beispielsweise Jerusalem in unseren Gebeten eine zentrale Bedeutung. Und dann möchte ich an die Verfolgungen der Vergangenheit erinnern. Es ist ein beruhigendes Gefühl, zu wissen, dass es da einen Staat gibt, den man bei Gefahr immer aufsuchen kann.

JZ: Abschließend zwei Fragen: Welcher höherklassigen Vereinsmannschaft drücken Sie die Daumen und wer wird Europameister?

Schlesinger: Meine Sympathien gehören den Bayern und im europäischen Fußball zusätzlich auch Real Madrid. Und wer Europameister wird? Schwierig zu sagen, aber ich hoffe auf Deutschland.

JZ: Herr Schlesinger, vielen Dank für das Gespräch.

 Zur Person:

Tuvia Schlesinger arbeitet als Polizeibeamter im gehobenen Dienst. Seit 1970 ist er Makkabi-Mitglied. Er war zunächst als Fußballer im Verein aktiv, später in der Funktion eines Vorstandsmitglieds und ist heute Vorsitzender des Vereins. Berlin, den 15.03.2008 / Nicht veröffentlicht