Wenn ich Angst hätte, würde ich meine Kinder nicht mit zum Gottesdienst nehmen

Polizisten weisen den Weg zum Trauergottesdienst der koptischen Gemeinde in Berlin-Lichtenberg. Seit dem blutigen Silvester-Attentat auf Kopten in der Hafenstadt Alexandria steht die Berliner Gemeinde unter Polizeischutz. Die St. Antonius und St. Shenouda-Kirche am verschlafen wirkenden Roedeliusplatz sieht nicht gerade wie ein potentielles Ziel des internationalen Terrorismus aus. Doch Drohungen gegen Kopten werden seit dem Anschlag ernst genommen. „Angst habe ich keine. Ich fühle mich absolut sicher. Auch wenn es ein komisches Gefühl ist, dass jetzt Polizeiautos vor der Tür stehen“, sagt eine freundliche junge Frau, die das Kondolenzbuch der Gemeinde verwaltet. Ein weiteres Gemeindemitglied ergänzt, dass sie ihre Kinder nicht mit zum Gottesdienst nehmen würde, wenn sie Angst vor einem Attentat hätte.

Neun Tage nach dem Anschlag in der ägyptischen Hafenstadt mit über 20 Toten begehen Kopten in ganz Europa zeitgleich Trauergottesdienste. Die kleine Kapelle, die den koptischen Christen als Hauptgebetsraum dient, ist bis zum letzten Platz gefüllt. Im Vorraum stehen weitere Menschen. Anwesend ist auch ranghohes ägyptisches Botschaftspersonal. Anba Damian, Koptischer Bischof für Deutschland, bedankt sich für die große Anteilnahme von Christen, Juden und Muslimen. Er frage sich aber, warum Menschen Moscheen nach ihrem Besuch mit Hass auf Christen verließen. Dieser Hass dürfe nicht mit Hass beantwortet werden. Anschließend wenden sich Vertreter anderer Konfessionen, unter anderen Bischof Markus Dröge, an die Gemeinde. Immer wieder wird daran erinnert, dass der Anschlag kein isoliertes Ereignis war, sondern Christen in der islamischen Welt häufig Ziel von Gewalt seien.

Nach dem Trauergottesdienst gibt es Zeit für weitere Gespräche. Herzlich lädt die Gemeinde zu Kaffee und Kuchen in einen kleinen Nebenraum. „Das koptische Weihnachtsfest konnte ich nach dem Attentat nicht mehr genießen. Ich war einfach nur traurig“, gesteht eine Frau. Ein junger Ägypter, der mit einer Deutschen verheiratet ist, berichtet von Schwierigkeiten der Christen in seiner Heimat: Als Kopte in Ägypten Recht zu bekommen, sei mit viel Aufwand verbunden. Muslime würden bevorzugt behandelt. Dann beschreibt er sein Dorf, in dem Frauen nur mit Kopftuch auf die Straße gingen. „Als meine deutsche Ehefrau zu Besuch war, wurde sie prompt von einem kleinen Jungen bespuckt, der sie ohne Kopftuch sofort als Christin erkannte.“ Bei allen negativen Erfahrungen hätte er aber auch sehr viele muslimische Freunde. Ein Hinweis, der von anderen Gemeindemitgliedern wiederholt wird.

In Berlin würden zirka 70 koptische Familien leben. Da die Gottesdienste freitags stattfänden und dies ein Arbeitstag sei, kämen zu ihnen in der Regel nur 20 bis 25 Personen. Die große mediale Aufmerksamkeit befremdet einen weiteren jungen Kopten. „Dass unsere kleine Gemeinde plötzlich im Mittelpunkt steht, ist mir unangenehm. Ich weiß nicht, was ich noch sagen soll. Es ist bereits alles geschrieben worden“, bemerkt er leicht resigniert. Beim Verlassen der Kirche geht es vorbei an Hände schüttelnden Diplomaten, wachsam dreinblickendem Sicherheitspersonal und Journalisten, die ihre Kamera einpacken. Tatsächlich, auch in Lichtenberg hat der Anschlag Spuren hinterlassen und die Zukunft wird zeigen, wohin sie führen.

Berlin, den 8. Januar 2011 / Erschienen in „die kirche“ XX