„Wir wollen nicht in fremden Teichen fischen“

In der nordgriechischen Hafenstadt Thessaloniki gibt es eine traditionsreiche Evangelische Kirche deutscher Sprache. Seit dem 1. September steht ihr mit Dr. Klaus Michael Führer ein neuer Pfarrer vor. Gespräche über das Gemeindeleben in einem krisengeschüttelten Staat

Auf den ersten Blick ist Thessaloniki alles andere als eine schöne Stadt. Sie bedient nicht die Klischees touristischer Hochglanzprospekte. Hier liegt das Griechenland ohne Säulen und eine wohltuend salzige Seebrise fehlt ebenso. Thessaloniki ist laut, hektisch, schmutzig. Eine anstrengende Stadt, die in den zumeist unerträglich heißen Sommermonaten von den Bewohnern fluchtartig verlassen wird, sobald das Wochenende erreicht ist. Und dennoch bietet die größte Stadt der Provinz Makedonien für jeden Geschmack etwas. Sie besitzt orientalisch anmutende Märkte, versteckt gelegene frühbyzantinische Kirchen, eine dörflich wirkende Altstadt, studentisches Leben mit urigen Kneipen und eine unendlich erscheinende Hafenpromenade, von der aus bei guter Sicht der Götterberg Olymp zu erkennen ist. Diese Stadt ist die neue Heimat von Klaus Michael Führer. Er ist seit 1. September Pfarrer der Evangelischen Kirche deutscher Sprache in Thessaloniki. Mit sympathischer Stimme erzählt er von seinen ersten Eindrücken.

„Natürlich ist es zunächst einmal eine große Umstellung, wenn man aus der beschaulichen Erzgebirgsregion in diese hektische Großstadt kommt. Doch Thessaloniki zeigt sich zunehmend einladend. Ich beginne meine Arbeit hier im schönsten Sommerwetter. Die beschwerliche Hitze der vergangenen Wochen liegt hinter uns.“ Zur Stadt hatte er zuvor noch keine Verbindung. Das griechische Festland kannte er überhaupt nicht. „Man kann es Naivität oder Unvoreingenommenheit nennen, die mich bewogen, den Sprung ins Unbekannte zu wagen“, bemerkt er lachend und erzählt, dass er sich bei der EKD für die Auslandsarbeit beworben hätte. Zu seinem Bewerbungsprofil passte die Gemeinde in Thessaloniki, die sehr viel Wert auf die Ökumene legt. Tatsächlich möchte auch Klaus Michael Führer mit den anderen Konfessionen der Stadt in den Dialog treten. Seinen Schwerpunkt sieht er aber zunächst in der internen Arbeit. Die zirka 350 deutschsprachigen Gemeindemitglieder bewegen sich in einer für sie teilweise fremden Umwelt. Die Gemeinde soll ihnen Vertrautes, soll ihnen Halt geben. „Wir wollen nicht in fremden Teichen fischen. Wir wollen nicht missionieren. Wir wollen den deutschsprachigen Menschen der Stadt einen Anlaufpunkt bieten. Dies allerdings in bewusster Nachbarschaft zu den anderen Konfessionen Thessalonikis.“ Dass es in den vergangenen Monaten zu Spannungen im deutsch-griechischen Verhältnis kam, nachdem deutsche Medien die griechische Wirtschafts- und Finanzmisere mit der griechischen Mentalität in einen Zusammenhang brachten, ist auch Herrn Führer bewusst. „Ich habe an einem Kiosk eine Zeitschrift gesehen, aufgemacht vergleichbar dem SPIEGEL, da sah man Angela Merkel mit Stahlhelm und Hakenkreuz. Im Alltag sind mir die Menschen hier dagegen bisher sehr hilfsbereit und freundlich begegnet.“ Natürlich spüre auch er die Krise im Land. „Die Menschen sind verunsichert. Sie stellen sich die Frage, was die Zukunft bringen wird.“

Elke Wollschläger kennt diese Angst ebenfalls. Sie ist die erste Vorsitzende der Gemeinde und seit bereits 26 Jahren mit Griechenland vertraut. „Zunächst habe ich hier Urlaub gemacht und Freundinnen besucht“, erzählt sie in einer ebenso offenen wie herzlichen Art. Ein Jobangebot in der Textilbranche folgte und die Liebe zu einem Mann. „Und ehe ich mich versah, war ich häufiger in Griechenland als in Deutschland.“ Die Krise sei ein großes Thema. Doch in der Gemeinde würden auch Alltagsprobleme diskutiert. Gerade in griechisch-deutschen Familien käme es häufig zu Meinungsverschiedenheiten zum Beispiel bezüglich der Kindererziehung. „Wir nennen uns manchmal scherzhaft Frauengemeinde“, sagt Frau Wollschläger lachend und spielt darauf an, dass es viele deutsche Ehefrauen sind, die das Gemeindeleben prägen. Frauen von griechischen Männern, die zumeist als ehemalige Gastarbeiter oder Studenten in ihre Heimat zurückgekehrt sind. Oft würden sich diese Frauen alleine und in der Fremde fühlen. „So tut es auch mal ganz gut, mit ihnen und ihren Kindern deutsche Kinderlieder zu singen.“

Darüber hinaus hilft die Gemeinde in Not geratenen deutschen Urlaubern. In Zusammenarbeit mit dem Deutschen Generalkonsulat würden Behördengänge erledigt oder einfach nur Trost gespendet. Überhaupt sei die Zusammenarbeit mit anderen deutschen Institutionen der Stadt sehr intensiv. So könne die Gemeinde bei größeren Veranstaltungen auf die Aula der Deutschen Schule oder auf die Räumlichkeiten des Goethe Institutes zurückgreifen. Als ein in sich geschlossener deutscher Zirkel verstehe man sich aber nicht. „Gerade der Kontakt zu anderen Konfessionen und Religionen ist uns wichtig“, betont auch Frau Wollschläger „Wir pflegen Kontakte zur Griechisch-Orthodoxen Kirche, zur Katholischen Kirche und zur jüdischen Bevölkerung.“ Und auch innerhalb der Gemeinde müsse man nicht zwangsläufig evangelischer Christ sein. Es reiche ein christliches Bekenntnis. „Immerhin sind viele Kinder aus griechisch-deutschen Familien griechisch-orthodox getauft, denen wollen wir doch nicht unser Gemeindeleben verwehren.“ Dass es ein harter Kampf mit der EKD war, eine entsprechende Änderung der Satzung durchzusetzen, möchte sie noch anmerken. Dann heißt es, wieder an die Arbeit. Immerhin muss ein neuer Pfarrer mit der Gemeinde und der Stadt vertraut gemacht werden.

Infokasten zu Thessaloniki

Thessaloniki ist die zweitgrößte Stadt Griechenlands und zählt in ihrem Ballungsraum zirka 900.000 Einwohner. Sie ist das wirtschaftliche Zentrum im Norden des Landes und kann auf eine Geschichte von 2325 Jahren zurückblicken. Benannt ist Thessaloniki nach einer Halbschwester Alexanders des Großen. Zweimal besuchte Apostel Paulus die makedonische Stadt. Seine Briefe an die Thessalonicher erinnern an diese Beziehung. Während des Mittelalters war Thessaloniki die nach Konstantinopel bedeutendste Stadt des Byzantinischen Reiches. Die Osmanen eroberten sie 1430 und siedelten in der Folgezeit jüdische Flüchtlinge aus dem katholischen Spanien und Portugal an. Deren Nachfahren stellten bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts die größte Bevölkerungsgruppe Thessalonikis. Im Jahr 1912 kam die Stadt an Griechenland. Als Folge eines griechisch-türkischen Krieges zehn Jahre später verließen die Muslime Thessaloniki. Dagegen strömten zehntausende griechischer Flüchtlinge aus Kleinasien in die Stadt. Während des Zweiten Weltkrieges besetzten deutsche Truppen Thessaloniki und organisierten die Deportation der jüdischen Einwohnerschaft. Der Verlust an muslimischen und jüdischen Bewohnern machte aus der makedonischen Metropole eine primär griechisch-orthodox geprägte Stadt. Erst mit der Globalisierung nach dem Ende des Kalten Krieges entwickelte Thessaloniki wieder einen ausgeprägt multikulturellen Charakter mit Einwohnern aus allen Kontinenten. In diesem Umfeld hat die kleine evangelische Kirchengemeinde deutscher Sprache ihren Platz gefunden.

Infokasten zur Evangelischen Gemeinde Thessaloniki

Bereits 1895 wurde die Evangelische Gemeinde als Teil der Preußischen Landeskirche im damals noch osmanischen Thessaloniki gegründet. Die Gemeindemitglieder waren hauptsächlich Familienangehörige von Kaufleuten, Handwerkern und Eisenbahnern. Bis 1916 stellte die Preußische Landeskirche die Pfarrer. In den folgenden Jahrzehnten betreuten Pfarrer der Athener Gemeinde die Gläubigen in Thessaloniki. Erst 1981 erhielt die Gemeinde der Stadt mit der Diplomtheologin Dorothee Vakalis eine eigene Pastorin. Die Gemeinde besitzt mittlerweile den Status eines gemeinnützigen griechischen Vereins und ist seit 1988 offiziell als Kirche anerkannt. Das kleine Gemeindezentrum in der geschäftigen Stadtmitte ist Anlaufpunkt für evangelische Christen aus ganz Nord- und Mittelgriechenland.

Erschienen in „die kirche“